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„Wertvolle Unterstützung für die Notfallmedizin“

Im Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. med. Markus Wehler

Welche Möglichkeiten die Digitalisierung in der Akut- und Notfallmedizin eröffnet und welche Rolle der Mensch dabei spielt, erläutert Priv.-Doz. Dr. med. Markus Wehler, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Augsburg und Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Akut- und Notfallmedizin Bayern e.V.

b on top: Natürlich steht bei der Notaufnahme bzw. Notfallmedizin die Hilfe für den Patienten im Vordergrund. Worin liegt aber die größte Schwierigkeit, wie gestaltet sich eine reguläre Aufnahme?

Dr. Markus Wehler: Die größte Schwierigkeit liegt ganz klar in der Ersteinschätzung der Dringlichkeit. Sie legt fest, wer zuerst behandelt wird und wer wie lange warten kann. In einer großen Notaufnahme wie beim Augsburger Klinikum haben wir in Hauptzeiten gut 20 Zugänge pro Stunde, mit durchschnittlich 20 Prozent an kritischen und 80 Prozent an kranken bis unkritischen Patienten. Dazu kommen noch die sogenannten Selbsteinweiser, von denen jeder achte bis zehnte durchaus lebensbedrohlich erkrankt ist. Für die Festlegung der Dringlichkeit all dieser Patienten verwendet man international validierte Ersteinschätzungsmodelle, nach denen immer gleich bewertet wird. Anschließend erfolgt die fachliche Zuordnung zum richtigen Arzt, der die fachgerechte Versorgung übernimmt. Das alles findet in den ersten drei Minuten statt.

b on top: Wie stellt sich die aktuelle Situation in der Notaufnahme auch hinsichtlich der Patientenzahlen dar?

Dr. Markus Wehler: In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Notaufnahmepatienten weit mehr als verdoppelt. Und damit müssen die personellen und räumlichen Ressourcen der Notaufnahme zurechtkommen, auch wenn diese nicht in gleichem Maße weiter gewachsen sind. Der rasante Anstieg der Patientenzahlen kann an fehlenden Alternativen zur Akutversorgung oder den gestiegenen Ansprüchen der Patienten liegen. Auch die Konsultation von „Dr. Google“ generiert viele beunruhigte Menschen, die in die Notaufnahme kommen. Die Zunahme beruht jedenfalls nicht darauf, dass heutzutage mehr Notfälle passieren. Natürlich gibt es etwas mehr demografisch bedingte Akuterkrankungen, aber dieser Zuwachs macht nicht mehr als zwei Prozent aller Fälle pro Jahr aus.

b on top: Welche Rolle spielt die Digitalisierung im Klinikalltag?

Dr. Markus Wehler: Die Vernetzung und Digitalisierung spielen eine große Rolle und ermöglichen eine bessere Planung im Alltag. Wir haben hier beispielsweise als erster Rettungsdienstbezirk die elektronisch strukturierte Voranmeldung von außerhalb eingeführt. Damit können die Sanitäter und Notärzte die Patientenparameter mit voraussichtlicher Ankunftszeit direkt vom Unfall- oder Erkrankungsort vorab ins Klinikum senden. Das erleichtert uns die Bereitstellung entsprechender Kapazitäten enorm. Auch die GPS-gestützte Echtzeitverfolgung von Rettungsfahrzeugen ist natürlich hilfreich für die Leitstelle, die dadurch ihre Kapazitäten und räumlichen Verfügbarkeiten besser managen kann. Auch modernes, umfassendes Monitoring hat eine erhebliche Bedeutung. Dabei wird kontinuierlich angezeigt, wie es dem Patienten geht, es wird im Ernstfall zentral alarmiert und auch alle Aufenthalte und Verlegungen werden lückenlos aufgezeichnet. Zunehmende Bedeutung haben auch Liveschaltungen mit kleineren Kliniken, die uns wie per Skype digital Patientenaufnahmen schicken. Auf dieser Basis können dann unsere Spezialisten hier vor Ort weitere Diagnose- und Versorgungsschritte einleiten. Diese Technik spart Arbeitskräfte, Transporte und ist außerordentlich schnell, was bei akuten Notfällen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt natürlich entscheidend ist. Derartige digitalisierte Verfahren stellen also heute eine wertvolle Unterstützung im Arbeitsalltag dar. Die entscheidende Ressource in der Notfallmedizin ist aber mit Abstand immer noch der Mensch. Es sind nun mal manuelle Tätigkeiten vonnöten, die sich nicht digitalisieren lassen.

b on top: Wie könnten mögliche Zukunftsszenarien der Notfallmedizin aussehen?

Dr. Markus Wehler: Dazu gibt es interessante Pilotstudien wie etwa in Skandinavien, wo man mit Drohnen Defibrillatoren zu Patienten schickte. Die Drohnen bekommen nur die Koordinaten und liefern die Geräte, die auch Laien bedienen können, unschlagbar schnell ab. Auch die Einführung der lang diskutierten digitalen Gesundheitskarte wäre natürlich für die Notfallmedizin von immensem Vorteil, da sie alle für die weitere Behandlung relevanten Informationen wie Medikation, Allergien oder Vorerkrankungen bereithält. Unabhängig davon wäre eine engere Verknüpfung der verschiedenen ambulanten und stationären Bereiche hierzulande wünschenswert – in Form einer Zentralisierung der Akutversorgung, die die Kräfte bündelt, Ressourcen spart und die Notfallmedizin noch effizienter macht

Priv.-Doz. Dr. med. Markus Wehler studierte 1982 bis 1989 Medizin in Bonn und Stanford (USA) und war nach seiner Promotion wissenschaftlicher Assistent am Physiologischen Institut der Universität Bonn. Zwischen 1989 und 2008 absolvierte er die Weiterbildung zum Internisten, Gastroenterologen, Infektiologen und Intensivmediziner an der Medizinischen Klinik 1 des Universitätsklinikums Erlangen. 2004 erfolgte die Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, und seit 2009 ist Markus Wehler Chefarzt der Zentralen Notaufnahme und IV. Medizinischen Klinik für Allgemeine Innere Medizin am Klinikum Augsburg. Daneben ist Markus Wehler auch erster Vorsitzender der Gesellschaft für Akut- und Notfallmedizin Bayern e.V.

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